Vergleichende klinische Erforschung der ambulanten und der stationären Kurz-, Mittel- und Langzeittherapie bei Drogenabhängigen"

 

Teilprojekt Alltagswelt in der Drogentherapie

 

1. Untersuchungsziele und methodische Vorgehensweise

Die Untersuchung geht der Frage nach, welche Elemente der "Alltagswelt Drogentherapie" welche Auswirkungen auf das Resultat der Therapie bei KlientInnen haben.

Drogentherapie wird verstanden als ein pädagogisch-therapeutisches Setting, das auf bestimmte Problemlagen der KlientInnen hin konzipiert ist. Die Strukturen von drei unterschiedlichen Therapiesettings (Klosterhof Bebenhausen, Bläsiberg und Kompakttherapie Reutlingen) sollen im Konzept Alltagswelt/Lebenswelt untersucht werden (vgl. Thiersch 1992).

Die Begriffe "Lebenswelt" und "Alltagswelt" werden weitgehend synonym gebraucht. "Alltag" meint einen Modus des Handelns, eine spezifische Art, Wirklichkeit zu erfahren, sich in ihr zu orientieren, sie zu gestalten. Diesem Handlungsmodus Alltäglichkeit entsprechen konkrete Konstellationen, z.B. wie hier pädagogisch-therapeutisch Settings der Drogenhilfe.

Diese Alltagswelt soll daraufhin untersucht werden, wie Drogenabhängige sie wahrnehmen und bewältigen und welche Auswirkungen sie auf das Therapieresultat hat. Diese Frage muß konfrontiert werden mit der nach der Intention des Konzepts und dem Arbeitsverständnis der in der Einrichtung tätigen MitarbeiterInnen.

Der Untersuchungsansatz nach Struktur und Wahrnehmung der Alltags-und Lebenswelt in pädagogisch-therapeutischen Einrichtungen der Drogenarbeit verfolgt eine Frage, die in der bisherigen Forschung zu wenig Beachtung findet, obwohl sie zweifelsohne für die Entwicklung der Praxiskonzeptionen in den letzten Jahren zentral war. Die Frage zielt nicht primär auf die spezifischen Therapieangebote, obwohl diese natürlich wichtig für den "Effekt" der Arbeit sind, sondern auf den Zusammenhang des gelebten Lebens in einer Einrichtung, auf die Struktur des Lebensraums und die darin liegende pädagogische und therapeutische Wirkung.

 

Untersucht werden müssen deshalb folgende Dimensionen:

 

Methodisch heißt dies, daß die Fragestellung in explorativer Vorgehensweise und unter den Prämissen qualitativer Sozialforschung zu untersuchen ist, um so eine sinnvolle Erkundung des theoretisch noch wenig strukturierten Gegenstandsbereichs zu gewährleisten (vgl. Lamnek 1993). Ziel dabei ist prinzipiell die empirische begründete Theorieentwicklung (vgl. Glaser/Strauss 1971). Die methodische Durchführung erfolgt anhand von qualitativen Interviews mit KlientInnen und MitarbeiterInnen der Einrichtungen. Die Interviews mit KlientInnen der Einrichtungen werden in drei Phasen durchgeführt (zu Beginn der Therapie- gegen Ende der Therapie - ein Jahr nach Therapieende).Entsprechend den hypothetischen Vorannahmen werden die Interviews je nach Untersuchungszeitpunkt entweder schwerpunktmäßig offen- narrativ (Phase 1 und Phase 3) bzw. schwerpunktmäßig leitfadengestützt (Phase 2) durchgeführt. Die MitarbeiterInneninterviews dienen u.a. der vergleichenden Kontrolle für die Sichtweise der KlientInnen auf die Therapieeinrichtung. Diese Interviews werden als Einzelinterviews wie auch als Gruppeninterviews durchgeführt.

2. Wissenschaftliche Ergebnisse und Erfahrungen

In einer Pilotphase wurden zunächst Testinterviews mit KlientInnen der Therapieeinrichtung Bebenhäuser Klosterhof (12-Monats-Therapie) durchgeführt. Diese Interviews wurden gemäß einer explorativen Vorgehensweise offen-narrativ geführt. Dabei waren insbesondere zwei Kerndimensionen zu hinterfragen: die biographische Vorgeschichte sowie die Beurteilung des Settings Drogentherapie. Die Analyse dieser Interviews erfolgte im Team auf der Basis eines hermeneutisch-analytischen Zugangs, rückbezogen auf die Fragekategorien, die in den hypothetischen Vorüberlegungen festgelegt worden waren. Das Ergebnis zeigte, daß es unabdingbar ist, der biographischen Dimension - insbesondere auch der Frage nach Gründen für und Funktion von Drogengebrauch - einen breiten Raum einzuräumen, da Erwartungen an die jetztige Therapie und Beurteilung derselben sehr stark vom Kontext dieser biographischen Vorerfahrung abhängig sind. Insbesondere zeigte sich bereits hier, daß der Therapie unmittelbar vorangehende Hafterfahrung eine entscheidende Variable für die Therapieaufnahme zu sein scheint. Außerdem zeigte sich anhand der biographischen Vorerfahrung, daß KlientInnen bestimmte persönliche Problembereiche benennen, die mit dem Drogengebrauch in einem engen Zusammenhang zu stehen scheinen und daß dieser subjektiv genannte Problembereich wiederum in Zusammenhang steht mit der Nützlichkeitseinschätzung bestimmter Therapieelemente.

Aufgrund dieser Analyseergebnisse wurde ein ausdifferenzierter Interviewleitfaden konzipiert, der detaillierte Haupt- und Unterfragen zu den o.g. Teildimensionen enthält. Dieser Interviewleitfaden wurde in weiteren Interviews getestet. Die Interviews wurden ab diesem Zeitpunkt jeweils von zwei InterviewerInnen des Teams durchgeführt, wobei ein Interviewer die aktiv befragende Rolle übernahm, der andere das Verfahren und die Interviewsituation beobachtete. Bei dieser methodischen Vorgehensweise zeigte sich, daß die Kommunikationssituation der Interviews von einer zu stringenten Durchhaltung der Haupt- und Detailfragen gestört wird. D.h., daß der/dem Interviewten durch ein dermaßen konsequent angewendetes Fragenraster zu wenig Raum bleibt, innerhalb eines Zugzwangs von Narration den jeweils subjektiven Begründungszusammenhang zu formulieren. Methodenkritisch gewendet bedeutet dies, daß der konzipierte Interviewleitfaden eine wichtige Aufgabe als Hintergrundstruktur ("Gedächtnisstütze") für die Interviewenden während des Interviews sowie als Analyseraster erfüllt, in der aktuellen Kommunikationssituation jedoch eine offenere Vorgehensweise anzustreben ist, die dem/der Befragten mehr Kontrolle über die Kommunikation zugesteht. Zudem hat sich auch gezeigt, daß KlientInnen in dieser Phase der Therapie (ca. 5 Wochen nach Therapiebeginn) detaillierte Nachfragen zu einzelnen Therapieelementen oft noch nicht besonders ausdifferenziert beantworten können, da zu diesem Zeitpunkt das Therapiesetting wohl noch eher als Gesamtkontext erlebt/bewertet wird. Insofern muß das Instrument an diese Sichtweise angepaßt sein. Wir vermuten, daß in der zweiten Interviewphase die detaillierte Hinterfragung der Einzelelemente expliziter erfolgen kann und vor diesem Hintergrund dann auch die Daten aus der Ersteinschätzung eine prägnantere Interpretation zulassen..

Auf der Basis dieser Pilotinterviews wurde zunächst eine allgemeine Sondierung des Datenmaterials vorgenommen, mit dem Ziel, zum einen ein vorläufiges Analyseraster zu konzipieren, zum anderen, um damit das Erhebungsinstrument bzw. die konkrete Anwendung desselben in der aktuellen Interviewsituation zu standardisieren. Der bisherige Entwurf des Analyserasters sieht folgende Dimensionen vor:

 

Ein erstes Austesten dieses vorläufigen Analyserasters führte zu folgenden Zwischenergebnissen bzw. Annahmen:

- Es läßt sich eine Variable (bzw. ein Variablenfeld) "subjektive Standorteinschätzung" bezogen auf persönlicheTherapiemotivation und -erwartung herausfiltrieren, die eventuell in einem engen Kontext mit der Untersuchung des Psychologischen Instituts zu "Wahrgenommene Kontrolle" steht. Diese Variable bzw. dieses Variablenfeld könnte eine entscheidende Rolle für die Prognostizierbarkeit des Therapieverlaufs und Therapieergebnisses spielen.

- Für die als Ergebnis angestrebte Typologisierung sind Variablen aus dem biographischen Werdegang, wie bsp.weise "bisherige Therapieerfahrung" oder "institutionelle Vorerfahrung/Hafterfahrung" von besonderer Relevanz.

 

3. Zeitplan

Der vorgesehene Zeitplan konnte bisher wie geplant eingehalten werden. Da aus zeitplanerischen Gründen im Kontext des 3-Phasen-Forschungsmodells für uns der größte Zeitdruck sich bei KlientInnen des Bebenhäuser Klosterhofs ergibt, haben wir bislang verstärkt dort die Organisation von Interviews in die Wege geleitet. Die organisatorische Klärung mit der Kompakttherapie Reutlingen ist soweit abgeschlossen. Mit der Einrichtung Bläsiberg sind in den nächsten Wochen noch organisatorische Modalitäten abzuklären, ehe auch dort mit den Interviews begonnen werden kann.

 

4. Verwertbarkeit der Ergebnisse und Möglichkeiten der Umsetzung in die Praxis

Unsere Zwischenergebnisse sind bisher nur als Annäherungen an den Gegenstandsbereich zu verstehen. Die Entwicklung und Standardisierung des Instrumentariums, wie bisher geschehen, zeigt tendenziell, wie Fragen zu diesem Gegenstandsbereich methodisch standardisiert werden sollten. Für die Praxis nützlich kann eine - vor allem auch geschlechtsspezifisch ausgerichtete- Typologisierung von KlientInnenprofilen sein, die als Endergebnis unserer Studie angestrebt ist, aber erst nach endgültiger Analyse aller Daten aus allen drei Phasen zu erwarten ist.

 

5. Aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse anderer Forscher zum Thema

Als allgemeiner theoretischer Hintergrund dienen uns -neben den wissenschaftlichem Grundlagen zum Konzept Lebenswelt/Alltagswelt (vgl. Thiersch 1992) - Untersuchungen über Therapiewirkungsmomente (vgl. Grawe 1995; Kropiunigg/Ringel 1988; Giese/Kleiber 1989)

Von besonderem Interesse sind für uns Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum wie z.B. Ashery et.al. (1995) zur Inanspruchnahme von Therapieangeboten und Behandlungsmotivation bezogen auf unterschiedliche Therapieeinrichtungen sowie geschlechtsspezifische Untersuchungen zur Frage, inwiefern Drogentherapiesettings den spezifischen Bedürfnissen abhängiger Frauen Rechnung tragen Nelson-Zlupko et.al 1995; Goldberg (1995).

 

6. Ausblick auf weiteren inhaltlichen Vorhabensverlauf

Die nächsten Schritte bis zum Jahresende sind wie folgt geplant:

1. Detailanalyse der vorhandenen Interviews aufgrund des Analyserasters

2. Standardisierung des Instrumentariums sowie der Erhebungssituation.

3. Endgültige Ausarbeitung des Analyserasters für Phase 1 Interviews.

4. Durchführung der Interviews Phase 1 im Bebenhäuser Klosterhof (bis Ende des Jahres)

5. Beginn der Durchführung von Interviews in der Kompakttherapie Reutlingen und entsprechende Adaption des Interviewinstrumentariums bezogen auf das dortige Therapiesetting.

6. Entwurf eines Leitfadens für MitarbeiterInneninterviews in den Einrichtungen, wobei hier zwei unterschiedliche Formen zu konzipieren sind, da sowohl Einzel- als auch Teaminterviews durchgeführt werden sollen.